Eine Geschichte zum Muttertag: Mutter bekommt kein Geld

Novellen - Kurzgeschichten - Bücher - Daniela Noitz
Kurzgeschichte: Mutter bekommt kein Geld

 

Auf der Straße begegnete mir frühmorgens oft ein munterer, fröhlicher Junge. Er trug für einen Bäcker die Brötchen aus. Eines Tages ließ ich mich in ein Gespräch mit ihm ein. „Mit dem Austragen“, sagte der Knabe mit leuchtenden Augen, „verdiene ich schon ein gutes Stück Geld. Mein Vater, der in einer großen Tischlerei arbeitet, verdient freilich viel mehr.“ 

„Und was tut denn deine Mutter den ganzen Tag?“ fragte ich. „Mutter“, sagte er, „die steht morgens als erste von uns auf und weckt mich, damit ich pünktlich wegkomme. Dann weckt sie meine Geschwister, die zur Schule müssen, und gibt ihnen ihr Frühstück. Sind sie fort, so wird Vaters Tasche zurechtgemacht und sein Frühstück hineingepackt. Inzwischen ist die kleine Luise aufgewacht, die erst zwei Jahre alt ist. Mutter muss sie waschen und anziehen. Dann macht Mutter die Betten, räumt auf und kocht Mittagessen. Und so geht es den ganzen Tag weiter.“ 

„Wieviel verdienst du denn?“ fragte ich weiter. 
„Na – so ungefähr zehn Mark.“ 
„Und der Vater, wieviel bekommt der?“ 
„Hundert Mark und noch mehr.“ 

„Und was bekommt die Mutter für ihre Arbeit?“ fragte ich zuletzt. 

Da sah mich der Junge groß an und fing an zu lachen. „Die Mutter“, sagte er, „die arbeitet doch nicht für Geld. Die arbeitet doch nur für uns den ganzen Tag!“ 

Wilhelm Raabe (1831-1910)

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